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Einen Preis fürs Bloggen

Interview mit PD Dr. Helmut Wicht, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. med. Horst-Werner Korf (Dr. Senckenbergische Anatomie/ICN Frankfurt)

PD Dr. Helmut Wicht schreibt neurowissenschaftliche Beiträge für einen Webblog, einem für jedermann zugänglichen Journal, das auf einer Webseite geführt wird. Wicht bloggt in seinem Anatomischen Allerlei pointiert und fundiert zugleich. Dafür erhielt er den ersten Scilogs-Preis für Wissenschaftsblogs. Wicht ist damit einer der Pioniere unter den bloggenden Wissenschaftlern.

Im Gespräch mit unserer ICN Newsletter-Redakteurin Nicola A. Mögel erläutert Helmut Wicht seinen philosophisch-literarischen Zugang zu den Neurowissenschaften im Internet. Das Gespräch wurde am 19. Juni 2008 geführt.

Redaktion: Herr Wicht, was hat es mit dieser Bloggerei auf sich?

Wicht: Da muss ich etwas ausholen. Die Spektrum der Wissenschaften Verlagsgesellschaft ist seit einiger Zeit im Internet verstärkt präsent. Vor etwa einem dreiviertel Jahr hat der Verlag eine Webseite mit den sogenannten Scilogs (www.scilogs.de) ins Leben gerufen. Die Scilogs sind Blogs mit verschiedenen wissenschaftlichen Themen aus der Hirnforschung, den Geschichtswissenschaften, der Physik oder allgemeinen Wissensgebieten. Dort schreiben ein gutes halbes hundert Autoren. Das sind zum Teil Journalisten, jedoch deutlich mehr Wissenschaftler. Die Inhalte bewegen sich zwischen Wissenschaftsjournalismus, Wissenschaftssatire und Neuestem aus der Forschung.

Mein Blog heißt Anatomisches Allerlei und trägt den Untertitel: Kopflose Fußnoten. Zu finden ist der Blog unter www.brainlogs.de/blogs/blog/anatomisches-allerlei oder einfach indem das Stichwort „Anatomisches Allerlei“ gegoogelt wird. Der Blog ist einer von dreizehn, die auf der Webseite unter dem Oberbegriff Brainlogs zusammengefasst sind. Ich schreibe darin über alles, was mich interessiert. Da geht es oftmals recht philosophisch und literarisch zu – schließlich hat ja auch die Literatur mit Hirn zu tun, oder sollte zumindest damit zu tun haben…

Red.: Sie wurden im März diesen Jahres mit dem Scilogs-Preis ausgezeichnet. Was ist das für eine Auszeichnung?

Wicht:. Unter allen Bloggern bei Scilogs wurde im späten Frühling ein Preis verliehen. Externe Gutachter haben ihre Meinung über die einzelnen Blogs abgegeben. Björn Schwentker, Wissenschaftsredakteur von der Online-Redaktion der Wochenzeitung Die Zeit, hat mich als einen Preisträger vorgeschlagen. Insgesamt wurden – meinen Blog eingerechnet – vier Blogs für den Preis nominiert. Auf einem Treffen aller Scilogs-Blogger wurde intern unter den Bloggern abgestimmt, wer den ersten Preis bekommen sollte. Die Wahl fiel auf mich. Der Preis ist symbolisch zu sehen. Es war ein opulenter Pfälzer Fresskorb mit vielen Flaschen Wein und dosenweise Saumagen.

Red.: Wie kamen Sie zum Bloggen?

Wicht: Ich wurde von Spektrum eingeladen mitzumachen. Scilogs gehört zu den beiden größten wissenschaftlichen Blogportalen in Deutschland. Ein weiteres ähnlich großes Portal (ScienceBlogs) wird vom Burda-Verlag betrieben. Die Portale werden redaktionell begleitet – aber nicht redigiert – um journalistische Standards zu wahren. Geld gibt’s übrigens keines. Die Blogger treibt das Kommunikationsbedürfnis und die Eitelkeit. Mich zumindest. Und die Blogs leben von den Kommentaren und Diskus­sionen zu den einzelnen Beiträgen: Jedermann kann kommentieren.

Was ich dort schreibe, hat allerdings selten mit meiner aktuellen Forschung zu tun. Ich treibe vergleichende Kopfanatomie an einem kopflosen Fisch – das interessiert en detail niemanden in diesem Blog. Mitunter interessiert es noch nicht einmal die Gutachter der Fachzeitschriften…

Im Blog schreibe ich auf einer Metaebene wie in einem Wissenschaftsfeuilleton. Ich schreibe Wissenschaftsglossen, und, wie ich zugeben muss, mehr und mehr auch Wissenschaftssatiren und -sarkasmen. Und oft genug packt mich der anti-naturalistische Furor, dann häng‘ ich mich zu weit aus dem Fenster und kriege von den Kommentatoren – oft Fachwissenschaftler – eins auf’s Dach. Bloggen ist lehrreich.

Meine Beiträge wurden in der Laudatio zur Preisverleihung vor allem wegen ihrer Sprache und wegen ihres literarischen Werts gelobt. Schwentker begründete seine Empfehlung für meinen Blog damit, dass ich „in elegant-philosophischer Manier Einblicke in das Gedankengebäude eines Forschers“ geben würde.

Red.: Sind Sie in der Literatur beheimatet?

Wicht: Nicht aufgrund meiner Ausbildung. Das kam mit Wichts Winkel. Der findet sich im Internet unter www.gehirn-und-geist.de und ist eine monatlich erscheinende Online-Kolumne, in der „Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat“ gegeben werden. Das ist eine Sammlung neurowissenschaftlicher Kurzgeschichten. Der Spektrum Verlag bezeichnet mich auf der entsprechenden Internetseite als „Anatomie-Entertainer“. Na ja,… dem strengen, objektiven Naturwissenschaftler mag das degoutant vorkommen. Mir geht es aber darum, die Gegenstände der Neurowissenschaften inhaltlich korrekt darzustellen, sie aber mit Assoziationen zu versehen, die in der normalen akademischen Lehre leider keinen Raum mehr haben. Ich versuche Wissenschaft ästhetisch aufzuladen – in der Hoffnung, damit der Wissenschaft eine Dimension zurückzugeben, die sie stets hatte, aber zunehmend verleugnet, und in der Hoffnung, Laien so an sie heranzuführen.

Mit dem Schreiben selbst habe ich von gut 10 Jahren angefangen. Mein erstes Thema waren Motorräder, und auch damals war das Internet – das Usenet, um genau zu sein – meine Spielwiese. Es gab und gibt dort Newsgroups (Foren) zu allen möglichen Themen. Ich schrieb in einem Motorrad-Forum, denn ich bin ein begeisterter Kradfahrer und –schrauber. Das Forum war anfangs stark technisch orientiert. Innerhalb von ein paar Jahren haben ein paar Gleichgesinnte und ich es fertig gebracht, das Forum in ein literarisches zu verwandeln. Na ja, die Hybris… in ein auch literarisches. In das Forum kamen Reiseberichte, Gedichte, Kurzgeschichten und Schrauberstories. Nicht nur schön schrauben – auch schön darüber schreiben. Mit diesen Texten habe ich mich „freigeschrieben“ und gemerkt, dass ich es kann.

Das tolle im Netz ist die sofortige Qualitätskontrolle. Wenn man etwas schreibt und es passiert danach nichts, dann ist man entweder im falschen Forum oder man hat Mist geschrieben. Wenn es gut läuft, kommen freundliche Repliken oder noch besser, die Sachen werden per copy and paste geklaut und tauchen anderswo wieder auf. Später, im Jahr 2005 kam ein Verleger und hat aus meinen wieder eingesammelten Schnurren ein wohlfeiles Büchlein gemacht, es heißt: „Schräglagen und Wehklagen“.

Mittlerweile habe ich aus meinem Hobby, der Schreiberei, einen Teil meines Berufs gemacht. Ich kümmere mich im Dekanat des Fachbereichs Medizin zusammen mit meiner Frau um die PR und um die akademischen Festveranstaltungen und arbeite den Rhetoren bei solchen Veranstaltungen zu.

Red. Vielen Dank für Ihre Ausführungen und weiterhin viel Spaß beim Bloggen und Dichten!

Wicht: „Danke!“ spricht da der Wicht.

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