Ein Pionier der Hirnforschung berichtet
Interview mit Prof. em. Dr. Heiko Braak vom ICN Frankfurt
Prof. Dr. Heiko Braak gilt als einer der großen Protagonisten der Neurowissenschaften. Mit Hilfe detaillierter anatomischer Untersuchungen hat Braak ein System entwickelt, um Hirnveränderungen bei der Alzheimer-Krankheit in sechs Stufen einzuteilen. Mit den sog. Braak-Stadien wird die systematische Ausbreitung des pathologisches Prozesses der Krankheit verdeutlicht. Braak ist seit seiner Berufung 1980 als Professor für Anatomie an der Universität Frankfurt (Zentrum der Morphologie, Dr. Senckenbergische Anatomie) tätig.1998 erhielt Braak den Preis des 6. Internationalen Alzheimer Kongresses für Bahn brechende Beiträge zur Erforschung des Morbus Alzheimer in Amsterdam.
Im Gespräch mit unserer IZN Newsletter-Redakteurin Nicola A. Mögel erläutert Prof. Braak seinen Forschungsgegenstand. Das Gespräch wurde am 10. März 2008 geführt.
Redaktion: Herr Prof. Braak, was fasziniert Sie an der Hirnforschung?
Braak: Mich interessiert speziell das Nervensystem des Menschen. Die Forschung auf diesem Gebiet wurde in den vergangenen Jahrzehnten stark vernachlässigt und in diesem Bereich wollte ich schon immer mit meinen eigenen Bemühungen einsetzen. Ich habe, nachdem ich 1963 das Medizinstudium in Kiel abgeschlossen habe, in der Psychiatrie angefangen. Naiverweise nahm ich an, die Psychiater wären am menschlichen Nervensystem interessiert. Zu meiner Überraschung stieß ich auf keinen Widerhall und fand die Psychiater im wesentlichen am Sexualleben ihrer Patienten interessiert.
Das hat mich sehr enttäuscht und veranlasst, aus der Psychiatrie in die Anatomie zu wechseln. Hier wurde Grundlagenforschung geschätzt. Aber wieder fand ich kein lebhaftes Interesse am Nervensystem des Menschen, weil in der damaligen Zeit elektronenmikroskopische Untersuchungen hoch im Kurs standen, für die autoptisch gewonnenes Gewebe ziemlich ungeeignet war. Aus vielen Gründen hatten sich damals wie heute die Anatomen auf das Nervensystem von Mäusen und Ratten spezialisiert.
Die Erforschung des menschlichen Nervensystems hatte in Deutschland um die vorherige Jahrhundertwende herum eine Blütezeit erfahren. Dann kamen die beiden Weltkriege, haben Forschungsansätze zerstört und die noch vorhandenen wurden nicht fortgesetzt. Neue Forschungsrichtungen wurden entwickelt wie die Molekularbiologie, aber die Anatomie des menschlichen Nervensystems blieb vernachlässigt. So ergab sich für mich ein offenes Forschungsfeld.
Red.: Sie haben die Braak Stadien entwickelt. Was muss man sich darunter vorstellen?
Braak: Das sind Einteilungen der pathologischen Veränderungen, die sich im Verlauf von neurodegenerativen Erkrankungen im Nervensystem des Menschen abspielen. Ich habe eine solche Stadieneinteilung für die beiden Erkrankungen Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson gemacht. Diese Konzepte erlauben bei der histologischen Untersuchung die Feststellung, bis zu welchem Grad die Erkrankung bereits fortgeschritten war (Stadieneinteilung). Der Gedanke, dass die Krankheit im Nervensystem langsam und unerbittlich voranschreitet, kommt aus klinischen Beobachtungen. Bei Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson hat man deutliche klinische Hinweise darauf, dass die Krankheit schleichend einsetzt und dann über Jahre und Jahrzehnte hinweg kontinuierlich voranschreitet und die Symptome entsprechend immer ausgeprägter werden.
Red.: Ist jedes dieser Stadien tödlich?
Braak: Parkinson- oder Alzheimer-Patienten können in allen Stadien ihrer Erkrankung aus zum Teil von der Grunderkrankung unabhängigen Gründen versterben.
Red.: Sie sind bereits emeritiert und forschen aber weiter. Welchem Themengebiet gilt Ihr Interesse heute?
Braak: Zur Zeit beschäftigen wir uns nahezu ausschließlich mit dem Morbus Parkinson: Wir, das heißt eine aus DFG-Mitteln bezahlte wissenschaftliche Assistentin und ich. Wir widmen uns vor allem den pathologischen Veränderungen bei Morbus Parkinson, die in den frühen, nicht-symptomatischen Stadien entstehen, also dann, wenn die Krankheit klinisch noch nicht erfassbar ist. Die pathologischen Veränderungen sind zwar bereits deutlich zu erkennen, reichen aber in ihrer Stärke noch nicht aus, um klinische Symptome auszulösen. Viele Menschen tragen den Morbus Parkinson oder den Morbus Alzheimer bereits in ihrem Nervensystem, aber wissen davon nichts, genauso wenig wie ihre Angehörigen und ihre Ärzte. Die Erkrankung schwelt dann über Jahre weiter, bis die Schwelle zur klinischen Erkennbarkeit überschritten wird.
Red.: So lange die Krankheit nicht erkennbar ist, fällt sie dem Patienten nicht auf.
Braak: Richtig, doch die Erkrankung ist bereits ausgebrochen und schreitet unerbittlich voran, bis sie eines Tages erkennbar wird. Dementsprechend sie wir daran interessiert, diese vorklinischen Stadien möglichst gut zu beschreiben und sie unter Umständen mit neu entwickelten diagnostischen „Fernrohren“ sichtbar zu machen.
Red.: Beabsichtigen Sie, die Krankheiten zu verzögern oder zu heilen?
Braak: Unter Umständen könnte so etwas dabei herauskommen. Doch zuerst einmal ist es ein Fortschritt, eine Erkrankung früher zu erkennen, als es heute möglich ist. Natürlich suchen wir auch Wege, um die Krankheit besser therapieren zu können.
Red.: Kann Ihre umtriebige Forschungsarbeit im Pensionsalter als Beweis dafür gelten, dass das Gehirn auch im höheren Alter noch lern- und entwicklungsfähig ist?
Braak: Ich bin nicht geschützt gegen Altersveränderungen des Nervensystems und zeige sicher altersentsprechende Abnahmen der Gedächtnisleistung.
Auf der anderen Seite habe ich einen Schatz an Erfahrung und den habe ich jüngeren Forschern voraus. Dass ich jahrzehntelang ins Mikroskop geschaut habe, ist ein Faktum, das man nicht gering schätzen sollte. Ich fühle mich noch leistungsfähig und arbeite gerne. Ohne Unterstützung durch die DFG könnte ich allerdings meine Arbeiten nicht fortsetzen. Ich benötige ja ein Labor, sowie Mittel für Personal und Sachkosten. Die Kollegen im Anatomischen Institut sind sehr freundlich und mit meiner Arbeit einverstanden. Die Fördergelder hängen vom Erfolg unserer Forschung ab. Derzeit produzieren wir noch am laufenden Band Ergebnisse.
Red.: Herr Braak, herzlichen Dank für das interessante Gespräch und viel Spaß an Ihrer weiteren Forschungstätigkeit.