Gen entdeckt, das Einfluss auf die Schmerzempfindlichkeit nimmt
Interview mit Prof. Irmgard Tegeder vom ICN Frankfurt
Schmerzen und Schmerzempfinden gehören für jeden Menschen zur Alltagserfahrung. Das IZN-Mitglied Prof. Dr. Irmgard Tegeder, tätig am Institut für Klinische Pharmakologie der Universitätsklinik Frankfurt, konnte in einer Veröffentlichung in der Zeitschrift Nature Medicine zeigen, dass eine spezifische Genvariante bei Menschen sowohl die Empfindlichkeit bei unmittelbaren (akuten) Schmerzen bei (gesunden) Menschen als auch das Risiko chronischer Schmerzen etwa nach einer Bandscheibenoperation beeinflusst.
Diese vor Schmerz schützende Genvariante trägt etwa ein Viertel der Menschheit in sich. Die Träger zeigen im Vergleich zu Nicht-Trägern eine geringere BH4-Produktion bei einer vorliegenden Entzündung. BH4 ist ein Enzym-Hilfsfaktor, der entscheidend für die Bildung von Botenstoffen des Nervensystems und Stickstoffmonoxid verantwortlich ist. Durch die Studie von Prof. Tegeder ist es gelungen, einen genetischen Beitrag zu dem Risiko festzustellen, dass Menschen neuropathische Schmerzen entwickeln. Neuropathische Schmerzen entstehen u. a. durch traumatische oder entzündliche Schädigungen peripherer und zentraler Nerven. Sie sind oftmals schwer behandelbar.
Im Gespräch mit unserer IZN Newsletter-Redakteurin Nicola A. Mögel erläutert Prof. Tegeder ihren Forschungsgegenstand. Das Gespräch wurde am 8. Februar 2008 geführt.
Redaktion: Gratulation zu Ihrer wissenschaftlichen Arbeit, die in der renommierten Fachzeitschrift Nature Medicine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit befasst sich mit Reaktionsbahnen in der Schmerzentstehung. Was genau versteht man darunter?
Tegeder: Bei der Schmerzentstehung spielen sehr viele Einflussfaktoren eine Rolle. Wir haben einen möglichen Signalweg, der offensichtlich von großer Bedeutung ist, untersucht. Interessant daran ist, dass es bestimmte Menschen gibt, die aufgrund von genetischer Variabilität weniger Schmerzen haben oder besser auf eine operative Behandlung bei neuropathischen Schmerzen ansprechen oder auf Entzündungsschmerzen weniger reagieren (Tegeder et al., 2006; Tegeder et al., 2008).
Bei diesen Menschen wird der Signalweg weniger stark aktiviert als bei anderen Menschen. Das ist eine Art genetischer Schutz. Dieser Schutz funktioniert allerdings nicht in dem Maße als würde man ein Schmerzmittel, ein Analgetikum, nehmen. Aber man kann durchaus sagen, dass es vor chronischen Schmerzen schützt, wenngleich natürlich nicht absolut.
Red.: Sie sprechen vom genetischen Faktor der Schmerzempfindlichkeit. Könnte dieser vor eine Operation überprüft werden?
Tegeder: Bislang wird dies nicht durchgeführt. Der Artikel wurde erst Ende 2006 in der Zeitschrift Nature Medicine veröffentlicht und der Zusammenhang kurz davor entdeckt. Da die gleiche genetische Variante jedoch nicht nur das Risiko für chronische Schmerzen, sondern wie unsere neuesten Untersuchungen zeigen, auch das kardiovaskuläre Risiko beeinflusst (Antoniades et al., 2008), wird das Interesse an einem diagnostischen Test steigen.
Wir haben Anfang 2007 einen diagnostischen Schnelltest (screening assay) für diese genetische Variante veröffentlicht (Lotsch et al., 2007). Diesen Test könnte man bei der Diagnose einsetzen, um das individuelle Risiko eines Patienten abzuschätzen, der z.B. vor einer Operation steht, bei der ein relativ hohes Risiko für eine Nervenverletzung zu erwarten ist. Dadurch könnten in Zukunft Ärzte in die Lage versetzt werden, durch diagnostische Tests (sreenings) Patienten mit hohem Schmerzrisiko frühzeitig zu erkennen, um sie schnell einer intensiveren Behandlung zuzuführen.
Red.: Mit Ihrer Publikation in Nature Medicine haben Sie bewiesen, dass Sie an der Weltspitze forschen. Mit welchen internationalen Universitäten und Forschungseinrichtungen stehen Sie im wissenschaftlichen Austausch?
Tegeder: Ich habe mit diesem Projekt an der Universität Harvard (Boston) begonnen. Auch nach meinem Wechsel nach Frankfurt arbeite ich weiterhin sehr eng mit Clifford Woolf von der Neural Plasticity Research Group des Massachusetts General Hospitals und der Harvard Medical School zusammen. Im Bezug auf das Herz und das Gefäßsystem betreffende Aspekte kooperieren wir in Frankfurt mit Keith Channon von der Cardiovascular Research Initiative der Universität Oxford (Großbritannien). Außerdem stehen wir im engen wissenschaftlichen Austausch mit weiteren Kollegen in den USA, wie z.B. William Maixner von der Universität von North Carolina.
Seit neuestem stehen wir im Bezug auf einen geplanten Mausaustausch im Kontakt zu William D. Snider vom Neuroscience Center der Universität von North Carolina. Unser Ziel ist es, das Gen, um das es geht, gewebsspezifisch auszuschalten, d.h. nicht generell, sondern nur in Neuronen, die für die Schmerzleitung sehr wichtig sind. Dazu nutzen wir sog. Knockout Mice, das sind Mäuse, bei denen ein spezifisches Gen entfernt wurde, um festzustellen welche Funktion dieses Gen erfüllt.
Red.: Wo erwarten Sie praktische Anwendungen für Ihre Entdeckung?
Tegeder: Während über eine therapeutische Anwendung erst in ferner Zukunft entschieden wird, liegt eine diagnostische Anwendung durchaus im Bereich des Möglichen. Unser Screening Assay wäre mit relativ geringem Aufwand in der Klinik einsetzbar. Wir haben unseren Schnelltest patentieren lassen und haben schon Anfragen von kommerziellen Interessenten.
Red.: Herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, uns von Ihrer Arbeit zu berichten.
Liste der angesprochenen Veröffentlichungen von Prof. Tegeder
Antoniades C, Shirodaria C, Van Assche T, Cunnington C, Tegeder I, Lötsch J, Guzik TJ, Leeson P, Diesch J, Tousoulis D, Stefanadis C, Costigan M, Woolf CJ, Alp NC, Channon KM (2008) GCH-1 Haplotype Determines Vascular and Plasma Biopterin Availability in Coronary Artery Disease: Effects on Vascular Superoxide Production and Endothelial Function. J Am Coll Cardiol (in press).
Lotsch J, Belfer I, Kirchhof A, Mishra BK, Max MB, Doehring A, Costigan M, Woolf CJ, Geisslinger G, Tegeder I (2007) Reliable Screening for a Pain-Protective Haplotype in the GTP Cyclohydrolase 1 Gene (GCH1) Through the Use of 3 or Fewer Single Nucleotide Polymorphisms. Clin Chem 53:1010-1015.
Tegeder I, Adolph J, Haeussler A, Grundei IN, Kirchhof A, Doehring A, Schmidt H, Woolf CJ, Geisslinger G, Lotsch J (2008) Further evidence for reduced acute nociceptive pain and hyperalgesia and in homozygous carriers of a „pain-protective“ GTP cyclohydrolase haplotype. Eur J Pain (in press).
Tegeder I, Costigan M, Griffin RS, Abele A, Belfer I, Schmidt H, Ehnert C, Nejim J, Marian C, Scholz J, Wu T, Allchorne A, Diatchenko L, Binshtok AM, Goldman D, Adolph J, Sama S, Atlas SJ, Carlezon WA, Parsegian A, Lotsch J, Fillingim RB, Maixner W, Geisslinger G, Max MB, Woolf CJ (2006) GTP cyclohydrolase and tetrahydrobiopterin regulate pain sensitivity and persistence. Nat Med 12:1269-1277.